05.04.2018

Interview: Klimafreundliche Technologien in MENA

Blick auf die Altstadt von Amman, Jordanien; Foto: Francisco Anzola
Blick auf die Altstadt von Amman, Jordanien; Foto: Francisco Anzola

Interview mit den Verantwortlichen des IKI-Projekts „Erhöhung der Ambitionen zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudestandards in der MENA Region“.

Die Transformation des Gebäudesektors ist eine der großen Herausforderungen, um die Minderungsziele des Pariser Klimaschutzabkommen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C zu erreichen. Mehr als 30% des weltweiten Endenergieverbrauchs und etwa 20% der Treibhausgasemissionen entfallen auf Gebäude. Das Projekt „Erhöhung der Ambitionen zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudestandards in der MENA Region“, unterstützt die zuständigen Ministerien und Stakeholder einzelner Länder in der Region Nahost und Nordafrika (Middle East and North Africa, MENA) darin, den Einsatz klimafreundlicher Technologien für Heizung und Kühlung voranzutreiben. Sven Schimschar, Karoline Steinbacher und Moritz Schäfer von Ecofys, Teil von Navigant Consulting, sind verantwortlich für das Projekt, das von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums (BMU) gefördert wird.

Frau Steinbacher, Herr Schäfer, Herr Schimschar, in den kommenden internationalen Klimaverhandlungen geht es nun zunehmend an die Umsetzung der national bestimmten Klimaschutzbeiträge (NDCs) in einzelnen Sektoren. Dem Gebäudesektor kommt dabei offensichtlich eine besondere Bedeutung zu – warum?

Sven Schimschar, Managing Consultant, Ecofys – A Navigant Company, Foto: EcofysNavigantDer Gebäudesektor ist für gut ein Fünftel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – und bis 2050 ist eine Verdopplung des Energiebedarfs in diesem Sektor zu erwarten, wenn keine ambitionierten Maßnahmen ergriffen werden. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, eine erwartete beinahe Verdopplung der weltweiten Gebäudeflächen bis 2050 und steigende Lebensstandards sind Faktoren, die den Energieverbrauch im Gebäudesektor beeinflussen. Auch die lokalen Effekte des Klimawandels haben Auswirkungen auf den Energieverbrauch der Gebäudenutzung – insbesondere bei der Gebäudekühlung.

Gleichzeitig existieren aber effiziente und auf erneuerbaren Energien basierende Technologien und andere Energiesparmaßnahmen. Das hohe Emissionsminderungspotenzial macht den Sektor zentral für die Umsetzung der NDCs: eine Minderung der Emissionen um 80% im Gebäudesektor bis 2050 scheint für das Erreichen der Pariser Klimaziele notwendig. Dennoch sehen wir momentan, dass dieses Potenzial nicht ausgeschöpft wird, gerade im Bereich Heizung und Kühlung – einem der größten Hebel für die Emissionsminderung im Gebäudebereich. Zum Beispiel werden erprobte und in vielen Regionen kosteneffektive Maßnahmen und Technologien wie solarthermische Anlagen nicht konsequent genug umgesetzt. Dies hat auch einen negativen Einfluss auf die langfristige Entwicklung der Emissionen im Gebäudesektor, da die installierte Technologie viele Jahre erhalten bleibt.

Viele Länder haben die Bedeutung des Sektors für ihre Klimaambitionen erkannt. Laut NDC Partnership haben 53 Länder energieeffiziente Maßnahmen im Gebäudesektor in ihren NDCs erwähnt, davon 38 explizit auch Gebäudestandards. Um von den Zielen zur Umsetzung zu gelangen, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Initiativen wie z.B. die Global Alliance for Buildings and Construction und der Green Buildings Council formiert, um die Umsetzung zu unterstützen. Auch in unserem IKI-Vorhaben steht die Brücke zwischen Zielen und Umsetzung klar im Fokus.

Und wie stellt sich diese Entwicklung konkret in ihren Zielländern Ägypten, Jordanien und Libanon dar?

Ägypten hat einen nationalen Aktionsplan für Energieeffizienz für den Zeitraum 2012-2015 verabschiedet, der eine Steigerung der Energieeffizienz um 5% vorsieht. Der Rahmen für Energieeffizienz bleibt jedoch relativ schwach, insbesondere im Hinblick auf die effektive Umsetzung. Die Herausforderung der Umsetzung sehen wir auch in den anderen Ländern der Region sehr deutlich. Ein Mangel an Personal und effektiven Mitteln zur Einhaltung von Vorgaben ist hier eine große Barriere.

Karoline Steinbacher, Managing Consultant, Ecofys – A Navigant Company, Foto: EcofysNavigant Jordanien hat 2012 ein Gesetz für erneuerbare Energien und Energieeffizienz erlassen, das in mehreren Verordnungen umgesetzt wurde. Über den National Building Council hat die jordanische Regierung Vorschriften zum Beispiel zu Isolierung, Energieeffizienz und Solarenergie erlassen und ein Green Building Manual herausgegeben. Diese Vorgaben sind verpflichtend, auch hier stellt sich aber die Herausforderung der Umsetzung und der Überprüfung.

Im Libanon fasst der Nationale Aktionsplan für Energieeffizienz (NEEAP) 2016-2021 die Ambitionen im Bereich der Energieeffizienz zusammen. Unsere lokalen Partner bewerten die derzeitige Umsetzung der Strategie als begrenzt erfolgreich. In Bezug auf die Finanzierung von Investitionen in Energieeffizienz ist es dem Libanon gelungen, private Gelder durch den NEEAP zu mobilisieren. Die technischen und institutionellen Kapazitäten sind im regionalen Vergleich stark, aber übergeordnete Herausforderungen im Stromsektor wie die schlechte Versorgungsqualität und das unsichere Investitionsklima behindern die Entwicklung von energieeffizientem Heizen und Kühlen.

Sind denn Energieeffizienz und erneuerbare Energien in Gebäuden mit den klimatischen und technischen Voraussetzungen in Ländern wie Ägypten, Jordanien und dem Libanon einsetzbar?

Moritz Schäfer, Managing Consultant, Ecofys – A Navigant Company, Foto: EcofysNavigantAuch wenn das Klima in den Ländern, die im Fokus unseres Vorhabens stehen, in den meisten Regionen warm ist und demnach der Heizbedarf geringer als in Deutschland ist, können die Winter insbesondere in den gebirgigen Regionen kühl sein und somit auch den Einsatz von Heizsystemen erfordern. In Kombination mit der ohnehin notwendigen Warmwassererzeugung und einem hohen und steigenden Kühlbedarf ist der Einsatz effizienter und/oder auf erneuerbaren Energien basierenden Heiz- und Kühlsysteme notwendig. Dabei kann der Energiebedarf der Gebäude, ob im Bestand oder Neubau, durch Energieeffizienzmaßnahmen wie Dämmung oder bessere Fenster signifikant reduziert werden und der verbleibende Bedarf durch erneuerbare Versorgungssysteme wie zum Beispiel Wärmepumpen oder Solarthermie gedeckt werden. Auch eine Verbesserung der Energieeffizienz durch einen Wechsel von ineffizienten Standardsystemen wie herkömmlichen Kesseln oder Kühlsystemen mit niedrigen Jahresarbeitszahlen in wesentlich effizientere Systeme können dabei schon einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. In den Ländern der MENA-Region und insbesondere unseren Fokusländern kann in diesem Bereich ein substanzieller Beitrag zum Klimaschutz und gleichzeitig einer Verbesserung der Wohnqualität erreicht werden.

Gibt es in der Bevölkerung dieser Länder ein Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels beziehungsweise die Potenziale für Energieeffizienz und Erneuerbare im Gebäudesektor?

Die Folgen des Klimawandels sind für die Bevölkerung dieser Länder unmittelbar spürbar. Steigende Temperaturen, die insbesondere in Städten noch durch den Heat Island Effekt verstärkt werden, erhöhen den Bedarf an Kühlung drastisch. Diese Wahrnehmung geht jedoch nicht immer mit einem unmittelbaren Bewusstsein für die Potenziale von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Gebäuden einher. Die zahlreichen Interviews, die wir in Jordanien, Ägypten und Libanon mit Wohnungsbesitzern durchgeführt haben, zeigen deutlich, dass Ausgaben für Energieeffizienz geringe Priorität im Haushaltsbudget haben. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Großteils der Bevölkerung in diesen Ländern ist es nicht überraschend, dass die Bereitschaft zu warten, bis sich eine Maßnahme rentiert, begrenzt ist. Umso wichtiger ist ein niederschwelliger Zugang zu zinsfreien Darlehen oder Zuschüssen, um die, wenn auch relativ geringe, Mehrbelastung durch Investitionen in energieeffizientere Geräte auszugleichen.

Mit Ihrer spezifischen Erfahrung – wo sehen Sie in der Region die größten Hindernisse auf dem Weg zum Null-Emissionsgebäude?

In jedem Land sind natürlich andere Barrieren von besonderer Bedeutung. Es gibt aber durchaus Trends, wie wir in unseren Gesprächen mit Akteuren vor Ort, im Austausch mit Projektentwicklern im Rahmen der Pilotprojekte unseres IKI-Vorhabens sowie den Interviews mit verschiedenen Stakeholdergruppen, in der ganzen Region sehen. Das ist einmal der schon erwähnte Zugang zu Finanzierung. Obwohl es sehr vielversprechende Finanzierungsmechanismen wie den JREEEF in Jordanien oder NEEREA im Libanon gibt, ist der Zugang zu günstigen Krediten oft noch schwierig und die Fristen zur Kreditvergabe zu lang. Die Weiterbildung von Bankangestellten, aber auch der Antragssteller ist hier eine wichtige Maßnahme. In unserem Vorhaben haben wir ein Tool entwickelt, mit dem Projektentwickler die Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen wie verschiedenen effizienten Heiz- und Kühlsystemen berechnen können und das als Grundlage für die Finanzierung dienen kann.

Gleichzeitig sehen wir auch mangelndes Wissen zu Energieeffizienz bei Installateuren, Projektentwicklern und Architekten – jenen also, die effizientes Heizen und Kühlen in ihren Projekten möglich machen können.

Schließlich sind fehlende Mittel, Personal und Kapazitäten für die Überprüfung der Einhaltung von Standards ein Hindernis. Wir geben in unserem Vorhaben konkrete Empfehlungen dazu ab, wie diese Umsetzung in Zukunft besser gelingen kann – und greifen auf gute Beispiele aus der Region, beispielsweise aus Amman, zurück.

Wo sehen Sie eventuell unterschätzte Potenziale in diesem Sektor, die auch im Rahmen zukünftiger IKI-Projekte als Hebel für die Transformation des Gebäudesektors genutzt werden könnten?

Neben den „klassischen“ Maßnahmen wie Dämmung, mehrfach verglasten Fenstern und effizienteren Heiz- und Kühlsystemen könnten auch andere Maßnahmen erhebliche Wirkung auf den Energieverbrauch haben. Die Erhöhung der thermischen Masse im Neubau kann den Kühlbedarf von Gebäuden z.B. erheblich senken, insbesondere wenn hier noch mehr mit aktiven Verschattungssystemen gearbeitet würde. Auch ein verstärkter Einsatz von Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, sowohl zum Heizen als auch zum Kühlen kann den Energiebedarf erheblich senken.

Die kulturellen Gegebenheiten, auch durch einen fehlenden rechtlichen Rahmen, haben in der Vergangenheit zur fast ausschließlich dezentralen Versorgung in Mehrfamilienhäusern geführt - jede Wohnung hat also ein eigenes System. Ein Umdenken, auch durch neue Instrumente zur gerechten Verteilung der Energieverbrauchskosten in Mehrfamilienhäusern, könnte hier eine verstärkte Zentralisierung von gemeinsam genutzten Systemen fördern, was effizienter ist.

Um die unterschiedlichen Potenziale heben zu können, mangelt es in der Bevölkerung und den Fachkräften allerdings häufig an einer Sensibilisierung für das Thema. Hier könnte noch mehr geschehen, auch z.B. durch mehr Information über die energetische Qualität des eigenen Gebäudes. Ein Gebäude-Zertifizierungssystem ansetzen, das auch die technischen (und finanziellen) Möglichkeiten zur Verbesserung aufzeigt, wäre ein guter Anfang.

Frau Steinbacher, Herr Schäfer, Herr Schimschar, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

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