08.11.2017

Interview: Elektrische Motorräder – den Wandel sinnvoll gestalten

David Rubia. Foto: PB IKI
David Rubia. Foto: PB IKI

David Rubia vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen spricht im Interview über Möglichkeiten, der elektrischen Mobilität in Ostafrika und Südostasien zum Durchbruch zu verhelfen.

David Rubia arbeitet für die Air Quality and Mobility Abteilung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UN Environment). Er koordiniert die Electric Mobility Initiative, mit der Entwicklungs- und Transformationsländer beim Übergang vom Verbrennungsmotor zum Elektromotor unterstützt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf elektrischen Zwei- und Dreirädern, leichten Nutzfahrzeugen und Bussen. Der regionale Fokus des Projekts Integration elektrischer 2-& 3-Räder in bestehende städtische Verkehrssysteme in Entwicklungsländern liegt auf Äthiopien, Kenia, Uganda, Thailand, Vietnam und den Philippinen.

Herr Rubia im Rahmen dieses Projekts arbeiten Sie mit sechs Ländern, drei Ländern in Afrika und drei Ländern in Asien. Wie haben Sie diese sechs Länder ausgewählt?

Unsere Abteilung arbeitet mit 70 Entwicklungs- und Transformationsländern zusammen. Im Laufe der Jahre haben wir eine ziemlich genaue Vorstellung von den Herausforderungen gewonnen, vor denen diese Länder im Mobilitätssektor stehen. Gerade bei diesen sechs Ländern aus zwei verschiedenen Teilregionen haben wir unterschiedliche Probleme im Zusammenhang mit Zwei- und Dreirädern festgestellt. Ostafrika verzeichnet zurzeit das weltweit stärkste Wachstum bei der Zulassung von Zweirädern. Ein großer Teil davon entfällt auf Taxis, weil der öffentliche Personennahverkehr überlastet ist und es in den Städten viele Staus gibt. Auch in Südostasien ist die Zahl der Zweiräder über viele Jahre hinweg stark gestiegen, doch hier werden Zweiräder vor allem privat genutzt. Hier hat sich fast schon so etwas wie eine auf Zweirädern beruhende Mobilitätskultur entwickelt: In Vietnam kaufen sich die Menschen eher ein Zweirad als ein Auto.

Auto- und Motorrad-Taxis in Kampala, Uganda. Foto: UN Environment

Wie würden Sie den Zusammenhang zwischen Mobilität und Klimawandel beschreiben?

Spannend an diesem Projekt ist, dass wir bereits jetzt wissen, dass die Zukunft der gemeinsamen Nutzung von Verkehrsmitteln gehört, so wie beim öffentlichen Personennahverkehr. Gleichzeitig müssen die Verkehrsmittel klimaneutral bzw. nahezu klimaneutral sein, damit wir die Klimaschutzziele des Klimaschutzabkommens von Paris erreichen. Der Übergang vom Verbrennungs- zum Elektromotor bei Zweirädern ist ein wichtiger Meilenstein und könnte der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen und dadurch zu einer deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor beitragen. Die Elektrifizierung von Zweirädern ist einfacher, weil man keine so aufwändige Infrastruktur wie für leichte Nutzfahrzeuge oder Busse benötigt. Auch für die Nutzer sind die Hürden geringer, denn der Einstieg in die Elektromobilität erfordert bei Zweirädern geringere Investitionen. Außerdem gibt es bereits elektrische Zweiräder und die verfügbaren Modelle können im Preiswettbewerb durchaus mithalten. Wenn wir diesen Übergang erreichen, werden die Menschen auch ihre Einstellung zur Elektromobilität ändern. Sie werden sehen, dass die Elektromobilität sinnvoll ist und funktioniert. Damit sind dann auch die Voraussetzungen für die Elektrifizierung von leichten Nutzfahrzeugen und Bussen gegeben. Entscheidend ist dabei jedoch, dass es uns gelingt, diese Elektrofahrzeuge, insbesondere die Zweiräder, vollständig in die städtischen Verkehrskonzepte zu integrieren. Dazu bedarf es entsprechender Strategien und Vorschriften.

Wie lassen sich mit Blick auf Kenia die eingespielten Wertschöpfungsketten verändern?

Eine der zentralen Komponenten des IKI-Projekts besteht in der Unterstützung der Produktion bzw. Montage vor Ort. Derzeit sind die meisten Zweiräder, die auf den Straßen Kenias fahren, Importmodelle. Deshalb stellt der Übergang auf Elektromobilität eine große Chance dar, um die inländische Industrie und ihre Innovationsfähigkeit zu stärken. Beispielsweise unterstützen wir unseren Partner in Uganda, das Ministerium für Energie und die Erschließung mineralischer Rohstoffe, dabei, die inländischen Hersteller von Zweirädern mit Verbrennungsmotor zu erfassen. Zunächst müssen wir uns mit den Strukturen der Branche vertraut machen, denn wir wollen einen Technologiewandel herbeiführen und den Menschen nicht die Lebensgrundlagen entziehen. Wir müssen erst den Markt verstehen, bevor wir aktiv werden, um der Elektromobilität so zum Durchbruch zu verhelfen, dass sie nachhaltig ist und umweltfreundliche Arbeitsplätze schafft.
Auf der Verbraucherseite ist es etwas einfacher. Da Motorräder in Ostafrika meistens als Taxis eingesetzt werden, brauchen wir einen ökonomischen Anreiz, der für Elektromobilität spricht. Wenn es uns mit neuen Strategien und erfolgreichen Pilotprojekten gelingt, ein Szenario zu entwickeln, in dem sich die Betriebskosten durch den Übergang zur Elektromobilität um 30, 40 oder 50 Prozent oder sogar noch mehr verringern lassen, werden die Verbraucher es sich nicht zwei Mal überlegen. Hier wollen wir davon profitieren, dass die meisten Zweiräder in Ostafrika gewerblich genutzt werden, so dass eine Senkung der Betriebskosten den entscheidenden Unterschied macht.

Welche Rolle spielt die Politik dabei? Wie gehen Sie damit um, dass Rechtsvorschriften angepasst werden müssen, um einer emissionsarmen Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?

Die gesamte Arbeit des Umweltprogramms der Vereinten Nationen ist auf einen Politikwechsel gerichtet, denn Interventionen, die nicht in einem Politikwechsel verankert sind, bleiben in vielen Fällen ohne die beabsichtigte langfristige Wirkung. UN Environment verfügt über die institutionellen Kapazitäten, die für die Herbeiführung eines Politikwechsels notwendig sind. Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns alle bestehenden Herausforderungen genau ansehen und sie systematisch angehen. Das ist nicht einfach, aber viele politisch Verantwortliche haben den Willen zur Veränderung. Sie sehen darin eine Chance, die Nutzung motorisierter Zweiräder besser zu regulieren, denn dieser Sektor ist in letzter Zeit so schnell gewachsen, dass die Politik nicht Schritt halten konnte. Wir hoffen, die auf Seiten der Politik herrschende Dynamik für den Technologiewandel bei Zweirädern, also bei Kleinkrafträdern, Motorrollern und Motorrädern nutzen zu können.

UN Avenue in Gigiri (Kenia) mit getrennten Spuren für Autos, Fahrräder und Fußgänger. Foto: UN Environment

Sie sagten etwas von Pilotprojekten…

Ja, was uns an der Entwicklung dieses Projekts besonders reizt, war, dass es so konkret ist. Viele Menschen lassen sich vom Konzept der Elektromobilität überzeugen, wenn sie sie erst einmal erlebt haben. Zuerst machen sich die Menschen Sorgen und stellen Fragen wie „Wie lade ich mein Fahrzeug wieder auf? Was ist, wenn ich während der Fahrt feststelle, dass der Akku nicht mehr genügend Strom hat?“ Wir müssen Verbraucher und politische Entscheider an die Elektromobilität heranführen, damit sie verstehen, wie sie funktioniert. Deshalb werden wir in jedem Land ein Pilotprojekt durchführen und Zwei- und Dreiräder in so genannten Captured Fleets einsetzen. Unterschiede wird es im Umfang der einzelnen Pilotprojekte geben. In Südostasien wurden bereits früher Pilotprojekte umgesetzt. Wir müssen die beteiligten Akteure verstehen und lernen, mit ihnen zu arbeiten. Letztlich hängt von den Pilotprojekten die künftige Politikgestaltung ab. Außerdem sollen sie ein Bewusstsein für die Elektromobilität schaffen.

Wie würde ein solches Pilotprojekt in Kenia aussehen?

Wir würden nicht etwa mit einem Elektromotorrad bei Ihrem Büro vorfahren und Ihnen nur die Möglichkeit bieten, es einmal anzufassen. Vielmehr wollen wir eine Studie mit einer Laufzeit von einem Jahr durchführen, bei der elektrische Zweiräder in eine so genannte Captured Fleet aufgenommen und dort eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um bereits bestehende, große Flotten mit Verbrennerfahrzeugen, wie sie beispielsweise von der Polizei, Kurierdiensten oder sogar Taxigenossenschaften eingesetzt werden. Wir würden die Leistungsdaten der elektrischen Zweiräder erfassen, zum Beispiel die Häufigkeit der Ladevorgänge, den Stromverbrauch, die Betriebskosten usw. und sie mit den entsprechenden Kosten für Zweiräder mit Verbrennungsmotor vergleichen. Dadurch erhalten die politischen Entscheider umfangreiche Daten als Grundlage für bessere Entscheidungen. Die Verbraucher wiederum könnten sich mit elektrischen Zweirädern vertraut machen und feststellen, wie sie sich im Alltag bewähren. Gleichzeitig wollen wir zahlreiche Sensibilisierungs- und Medienkampagnen durchführen. Außerdem sollen im Rahmen des Projekts alle neuen Energie- und Mobilitätslösungen auf den Prüfstand gestellt werden, die gerade im Kommen sind, zum Beispiel E-Bikes, deren Akkus mit Solarstrom geladen werden und gleichzeitig nachts für die Beleuchtung eines Hauses verwendet werden können.

Sind sich die Verbraucher darüber bewusst, welche ökologischen Folgen der Transportsektor hat und wie er sich auf den Klimawandel auswirkt?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass das Bewusstsein in Ostafrika gering ausgeprägt ist. Allerdings ist es bereits gestiegen. Zurzeit ändert sich vieles. Vor zwei Monaten hat das kenianische Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen Plastiktüten verboten. Das ist ein enormer Fortschritt. Ruanda ist diesen Schritt bereits vor beinahe zehn Jahren gegangen, und andere Länder denken darüber gerade nach. Solche Entwicklungen sensibilisieren die Menschen. Die kenianische Behörde für Umwelt und Umweltmanagement erhält immer mehr Befugnisse im Hinblick auf die Regulierung der Umwelt. Heutzutage können Sie kein Projekt mehr ohne eine gründliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen. Die Menschen wissen das inzwischen, und nehmen diese Dinge auch ernst. Tatsächlich ist Kenia eines der ersten Länder, das mit dem Climate Change Act 2016 ein Gesetz eingeführt hat, das eine klimaresiliente und kohlenstoffarme wirtschaftliche Entwicklung vorsieht. Das Bewusstsein nimmt laufend zu, und wir werden diesen Prozess noch verstärken.

Abgasbelastung durch Verbrennungsmotoren. Foto: Kampala, Uganda. Foto: UN Environment

Die Pilotprojekte, die im Rahmen des IKI-Projekts durchgeführt werden, sind aber erst der Anfang. Wie können Sie die Pilotprojekte anschließend auf breiter Basis einführen?

Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, und zu entsprechenden politischen Entscheidungen führt, werden sich elektrisch betriebene Zwei- und Dreiräder durchsetzen. In Ostafrika brauchen wir jedoch Investitionen, damit in der Region elektrisch betriebene Zwei- und Dreiräder produziert werden, und wir brauchen stärkere Anreize für die Verbraucher. In Südostasien brauchen wir ebenfalls gezielte politische Maßnahmen und Investitionen. Zunächst wollen wir die Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Region unterstützen, denn diese haben zurzeit Priorität. Anschließend wollen wir weitere Finanzierungsquellen für die Region erschließen.

Denken Sie, dass man in Kenia eines Tages nur noch Elektrofahrzeuge auf den Straßen sehen wird?

Oh ja, davon bin ich überzeugt! Ich würde mich zwar nicht auf einen Zeitpunkt festlegen wollen, aber schon jetzt kann ich sagen: Wir sind kein Land, das Autos herstellt, deshalb sind wir im Unterschied zu anderen Ländern aufgeschlossener gegenüber dem Thema Elektromobilität. Wir klammern uns nicht an eine Technologie. Deshalb stellt für uns der Übergang zur Elektromobilität eine Möglichkeit dar, unseren Energiebedarf künftig aus heimischen Energiequellen zu decken und eine sichere Energieversorgung des Landes zu gewährleisten. Allein aus diesen beiden Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass der Übergang zur Elektromobilität gelingen wird. Hinzu kommt, dass die kenianischen Verbraucher sehr offen für Neues sind. Wenn wir die richtigen Maßnahmen zur Förderung von elektrischen Zweirädern treffen, kann ein vollständiger Technologiewandel sehr schnell gehen. Natürlich haben wir die Sorge, dass wir nicht auf die richtigen Standards setzen, wenn wir den Wandel zu schnell vorantreiben. Ich denke dabei vor allem an Fragen im Zusammenhang mit der Akkutechnik; außerdem brauchen wir akzeptable Mindeststandards. Ich will damit keineswegs sagen, dass wir den Technologiewandel bremsen sollten, aber wir müssen ihn sinnvoll gestalten. Ein solcher Prozess ist wie ein Lauffeuer, das wir unter Kontrolle bringen müssen, damit es nicht zu schnell um sich greift. Die entscheidende Frage ist, ob in größerem Umfang Elektrofahrzeuge importiert werden, ohne dass es gelingt, solide Standards und politische Maßnahmen einzuführen, die die inländischen Hersteller unterstützen und zu einer Angleichung der Standards in der Region führen. Solche Standards wollen wir entwickeln. Um also Ihre Frage zu beantworten: Der Technologiewandel läuft bereits, und wir werden eine vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge erleben. Die Frage ist, wie sich dieser Wandel vollziehen wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Projekt „Integration elektrischer 2-& 3-Räder in bestehende städtische Verkehrssysteme in Entwicklungsländern“ wird von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums finanziert. Das Interview wurde während des Besuchs von Herrn Rubia auf der Transport and Climate Change Week geführt, die im September 2017 in Berlin stattfand.

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Kontakt

IKI Office
Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH
Stresemannstraße 69-71

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iki-office@z-u-g.org

Videos zum Projekt

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