28.05.2020

„Es besteht eine große Nachfrage nach nachhaltigem Saatgut“

Zwei Hände halten zwei unterschiedlich große Samen
Nachhaltiges Saatgut schützt die Umwelt und bietet Ernährungssicherheit für die Bevölkerung. Foto: BMU/Red de Guardianes de Semillas

Expertin Daniela Borja über die Bedeutung von nachhaltigem Saatgut und die damit zusammenhängenden Herausforderungen.

Im Rahmen des IKI-Projektes „Bewusstseinsbildung für biologische Vielfalt in der Landwirtschaft“, das von Rare weltweit umgesetzt wird, veröffentlichte die Expertin Daniela Borja im Auftrag von Rare zwei Leitfäden zum Thema „Nachhaltiges Saatgut“. Ein Gespräch über die Bedeutung von nachhaltigem Saatgut und die damit zusammenhängenden Herausforderungen.

Was ist nachhaltiges Saatgut?

Daniela Borja: Vom Seed-Guardians-Netzwerk wissen wir, dass nachhaltiges Saatgut mehrere Eigenschaften aufweist: Es handelt sich um einheimische, lokale oder kreolische Sorten, die aus ererbtem Material stammen und vermehrungsfähig sind. Sie unterliegen keinen gewerblichen Schutzrechten, und beim Anbau werden ausschließlich Verfahren des ökologischen Landbaus angewendet. Der Anbau beruht auf traditionellen Methoden, um eine hohe Qualität und genetische Vielfalt zu gewährleisten. Dabei geht der Nutzen von nachhaltigem Saatgut über die Anwendung von traditionellen Anbautechniken weit hinaus: So bietet nachhaltiges Saatgut der gesamten Gesellschaft nicht zuletzt einen kulturellen Nutzen und stärkt den Umweltschutz sowie die Ernährungssicherheit. Die ausgewählten Saatgutsorten sind frei von Pflanzenresten und Pflanzenkrankheiten und werden fachgerecht und ohne Einsatz von Chemikalien gelagert. Und schließlich werden alle beteiligten Personen fair behandelt.

Daniela BorjaWelche Bedeutung hat nachhaltiges Saatgut in Ecuador?

Ecuador gehört weltweit zu den wichtigsten Ländern für die Kultivierung von Wildpflanzen. Doch das traditionelle Wissen über die Züchtung und Lagerung von Saatgut ist zu einem großen Teil verloren gegangen. In den letzten Jahrzehnten sind im Rahmen der Globalisierung neue Kulturpflanzen in unsere Ökosysteme eingeführt worden. Wir haben jedoch kein generationenübergreifendes Wissen darüber, wie wir Saatgut für diese Pflanzen erzeugen. Ein Beispiel dafür sind Karotten und bestimmte andere Gemüsesorten. Diese beiden Faktoren zusammen haben dazu geführt, dass wir heute in hohem Maße von Industriesaatgut abhängig und kaum in der Lage sind, Nutzpflanzen aus eigenem Saatgut zu ziehen.

Angesichts der Krise und der Veränderungen, die wir jetzt und künftig erleben, ist es für Ecuador sehr wichtig, nachhaltiges Saatgut zu erzeugen, damit das Land seinen Nahrungsmittelbedarf aus seiner eigenen unabhängigen Produktion decken kann. Nur so erreichen wir ausreichende Ernährungssicherheit.

Warum wissen die Menschen heutzutage weniger über die Züchtung von traditionellem Saatgut?

Die Züchtung von Saatgut gehörte zum tradierten Wissen unserer Kultur. Noch vor etwa 200 Jahren haben mehr als 75 Prozent der Bevölkerung ihre Nahrungsmittel selbst angebaut. Dies änderte sich mit der ersten industriellen Revolution, als viele Menschen Arbeit in den neuen Fabriken aufnahmen. Gleichzeitig wurden in den landwirtschaftlichen Betrieben große Maschinen eingeführt, die die Landarbeiterinnen und Landarbeiter ersetzten. Aus wirtschaftlichen bzw. finanziellen Interessen haben Regierungen und Agrarindustrie gemeinsam über Jahrzehnte durch unzählige Mechanismen Anreize dafür geschaffen, dass die Landwirtinnen und Landwirte nicht nachhaltiges Saatgut und Agrarchemikalien einsetzen. Die Wiederentdeckung des traditionellen Wissens über eine ökologische und biodiverse Landwirtschaft ist entscheidend, wenn wir unsere Ernährungsautonomie zurückgewinnen wollen. Dabei ist das kulturelle Erbe genauso wichtig wie das Saatgut selbst.

Welche Faktoren sind für die Züchtung von Saatgut entscheidend?

Für jede Sorte wird eine Mindestanzahl an fremdbestäubenden Pflanzen benötigt, um die genetische Vitalität zu erhalten und qualitativ hochwertiges Saatgut zu erzeugen. Ferner müssen die Landwirtinnen und Landwirte dafür sorgen, dass die Artenvielfalt auf ihren Flächen hoch bleibt, damit eine ausreichende Anzahl an gesunden lebenden Pflanzen vorhanden ist, welche die Bestäubung sichern und zu einem intakten Ökosystem beitragen.

Gibt es in Ecuador einen Markt für nachhaltiges Saatgut?

Während der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach unserem nachhaltigen Saatgut deutlich gestiegen. Die Landwirtinnen und Landwirte in städtischen und stadtnahen Gebieten wissen, wie wichtig es ist, die ökologische Saatgutproduktion zu unterstützen, und zwar sowohl um ihren eigenen Bedarf als auch den der Bauerngemeinschaften zu decken. In den ländlichen Regionen arbeiten wir mit mehreren NROs zusammen, um ökologisches Saatgut und das dafür notwendige Wissen an Hunderte von Bäuerinnen und Bauern weiterzugeben. Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, den vielen Landwirtinnen und Landwirten die Bedeutung von nachhaltigem Saatgut zu vermitteln. Dazu zeigen wir ihnen anhand von konkreten Beispielen vor Ort, dass die Permakultur ihre Lebensgrundlagen erheblich verbessern kann. Sie müssen selbst sehen, welche positiven Auswirkungen die Eigenproduktion von ökologischem Saatgut hat.

Wie kamen Sie auf die Idee, zwei Leitfäden für die Erzeugung von nachhaltigem Saatgut zu entwickeln?

Die Leitfäden haben wir auf der Grundlage von Feedback erstellt, das wir als NRO erhalten haben. Der Leitfaden zur Saatguterzeugung beantwortet die Fragen, die von mehreren Landwirtinnen und Landwirten während der Prozesse zum Aufbau von Ressourcen und Kompetenzen gestellt wurden.

Wir hatten bereits die Idee, einen Leitfaden zum Anbau und zur Verarbeitung von Kulturpflanzen zu schreiben, die für die lokale Umwelt und die Bevölkerung von Nutzen sind. Doch es hat sich herausgestellt, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher darüber hinaus auch Rezepte wünschten, die zeigen, wie man die verschiedenen Produkte zubereitet, die von den Guardian-Betrieben angebaut werden.

Ich freue mich sehr darüber, dass wir im Rahmen der Rare-C4C-Kampagne einen Leitfaden veröffentlichen konnten, der einerseits Hinweise zum Anbau von alten Sorten gibt und andererseits Kochrezepte zur Zubereitung der daraus entstehenden Agrarerzeugnisse enthält. Dadurch ist es uns gelungen, unsere wichtigste Zielgruppe zu erreichen und über den richtigen Umgang mit traditionellem Saatgut sowie dessen Bedeutung für Ernährung und Bodenschutz aufzuklären.

Köche bei der Erne

Wie sind Sie zum Thema nachhaltiges Saatgut gekommen?

Ich würde sagen, das Thema ist zu mir gekommen! Ich habe mir Gedanken über Umweltbewusstsein und das Gemeinwohl gemacht, als das Seed-Guardians-Netzwerk an mich herantrat und mich mit dem Konzept der Permakultur und einer regenerativen Lebensweise vertraut gemacht hat.

Javier Carrera, einer der Koordinatoren von Seed Guardians, schlug im Rahmen der Kampagne zur Förderung und Verbreitung von traditionellem Saatgut vor, nachhaltiges, einheimisches Saatgut wieder verstärkt zur Erzeugung von Nahrungsmitteln zu nutzen. Dann habe ich an der Schulung der Rare-C4C-Kampagne teilgenommen, in der ein auf Verhaltensänderungen und Sozialmarketing beruhendes Konzept vermittelt wurde. Inzwischen haben wir mehrere Köchinnen und Köche zu Saatgutbotschaftern ernannt, damit sie die Kampagne für nachhaltiges Saatgut mit eigenen Rezepten vorantreiben können.

Was hat Ihnen bei der Erstellung der Leitfäden am meisten Freude bereitet?

Es hat mir Spaß gemacht, Rezepte von den einheimischen Bäuerinnen und Bauern sowie Köchinnen und Köchen zu sammeln. Es war deutlich zu spüren, dass die Menschen den Willen haben, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich auszutauschen, um einen großes gemeinsames Ziel zu erreichen und die Nutzung von einheimischen Kulturpflanzen sowie die Pflanzenvielfalt zu fördern. Als Designerin hat es mir große Freude bereitet, das Konzept der Biodiversität und der Nutzung von traditionellem Wissen grafisch darzustellen.

Sind weitere Leitfäden geplant?

Es sind etliche Leitfäden in Planung, die auf dem Wissen beruhen, das Seed Guardians in über 20 Jahren zusammengetragen hat. So arbeiten wir derzeit an einer illustrierten Karte, die zeigt, woher die meisten Nutzpflanzen stammen, die wir heute anbauen. Außerdem wollen wir in den nächsten Wochen eine Broschüre mit grundlegenden Tipps für den Anbau im eigenen Garten veröffentlichen. Für Spanischsprachige produzieren wir außerdem Online-Artikel in unserem Magazin www.allpa.org. Ferner ermuntern wir unsere Leser dazu, uns Feedback zu geben und sich unter www.redsemillas.org einzubringen.

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Kontakt

IKI Office
Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH
Stresemannstraße 69-71

10963 Berlin

iki-office@z-u-g.org

Leitfäden

Seed Saving - an illustrated guide, Englisch (PDF, 3,95 MB)


Guía de Cocona de semillas ancestrales, Spanisch (PDF, 2,85 MB)

Videos zum Projekt

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