27.07.2017

Interview: Eine Plattform gegen die Entwaldung in Kolumbien

Juan Pablo Castro ist Klimaschutzexperte und Geschäftsführer der lateinamerikanischen Niederlassung von Climate Focus B.V. in Kolumbien. Foto: Juan Pablo Castro
Juan Pablo Castro ist Klimaschutzexperte und Geschäftsführer der lateinamerikanischen Niederlassung von Climate Focus B.V. in Kolumbien. Foto: Juan Pablo Castro

In Kolumbien wurde eine Dialog- und Informationsplattform geschaffen, mit der die Umsetzung der "Amazonas-Vision" unterstützt werden soll. Juan Pablo Castro erklärt wie die Plattform funktioniert.

In Kolumbien wurde eine Dialog- und Informationsplattform geschaffen, mit der die Umsetzung der „Colombia's Low Deforestation Development Vision for the Amazon“ (Amazonas-Vision) unterstützt werden soll. Juan Pablo Castro, Projektleiter bei Climate Focus B.V., erklärt, wie über die Plattform Informationen zusammengeführt, Kapazitäten ausgebaut und Bottom-up-Ansätze für die Koordination und Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der nachhaltigen Landnutzung in Kolumbien gefördert werden.

 

Das Ziel Ihres Projektes ist es, einen Beitrag zu „Colombia's Low Deforestation Development Vision for the Amazon“ zu leisten. Worum geht es bei dieser Vision?

Affen klettern auf einem Baumast: Der Regenwald in der Amazonas-Region ist Lebensraum vieler Arten. Foto: Juan Pablo CastroDie „Amazonas-Vision“ ist eine Maßnahme, die von der kolumbianischen Regierung ausgearbeitet wurde und von den Regierungen Norwegens, Deutschlands und Großbritanniens unterstützt wird. Es geht darum, die Entwaldung in der Amazonas-Region Kolumbiens zu stoppen und bis 2020 auf Netto-Null zu bringen – ein sehr ehrgeiziges Ziel. Das Projekt funktioniert über wirkungsabhängige Zahlungen: Um Geld aus Norwegen, Deutschland und Großbritannien zu erhalten, muss das Land die Entwaldung stoppen. Es handelt sich um eine top-down entwickelte Maßnahme. Deshalb besteht unsere Aufgabe nun darin, sie zu unterstützen, indem wir die Zivilgesellschaft informieren und mobilisieren. Zu diesem Zweck bringen wir Stakeholder der Amazonas-Region zusammen, sodass sie sich austauschen und ggf. Stellungnahmen formulieren können, um die öffentliche Politik wieder auf das Ziel auszurichten, das wir erreichen müssen.

Wie kann eine Plattform diesem Zweck dienen?

In der Vergangenheit wussten die meisten Einwohner Kolumbiens nur sehr wenig über die Amazonas-Region. Sie ist weit abgelegen von den Stadtzentren und den Orten, in denen der Großteil der Bevölkerung lebt, auch wenn fast 40 Prozent der Landmasse Kolumbiens auf sie entfallen. Nur 5 % der Bevölkerung leben dort und historisch handelt es sich um ein Gebiet mit geringer Regierungspräsenz. Bewaffnete Konflikte, illegale Gruppen und verbotene Anpflanzungen zeigen die große Diskrepanz zwischen den Vorhaben der Regierung und dem, was tatsächlich umgesetzt wird. Zum Teil haben die Zivilgesellschaft und von Gebern unterstützte Programme die Lücke gefüllt, die durch die Abwesenheit staatlicher Institutionen entstanden ist. Doch ihre Koordination ist oft nicht optimal. Kapazitätsaufbau und Unterstützung der Akteure vor Ort sind unbedingt erforderlich, um die Entwaldung in naher Zukunft einzuschränken. Die Kommunikationskluft zwischen den auf zentraler Ebene geplanten politischen Maßnahmen und dem, was in der Region tatsächlich geschieht, ist der Hauptgrund für unsere Entscheidung, dieses Projekt aufzubauen. Wir setzen dabei auf zivilgesellschaftlicher Ebene an, damit sich die Zivilgesellschaft gemeinschaftlich um die Zielen der Amazonas-Vision organisieren kann.

Im Rahmen Ihres Projektes richten Sie eine Koordinations- und Informationsplattform ein. Neue Plattformen entstehen jeden Tag. Was ist das Besondere an dieser?

Screenshot der Webseite von Radio Amazonia mit verschiedenen Podcasts; Bild: Screenshot PIDDiese Plattform ist nicht nur eine Web-Plattform. Sie ist sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt angesiedelt. Die Web-Plattform dient der Sichtbarkeit für Akteure auf nationaler und internationaler Ebene und stellt in organisierter Form eine große Menge an Informationen bereit. Mit dem anderen Teil der Plattform fördern wir eine Reihe von Multi-Stakeholder-Versammlungen und Kapazitätsaufbau-Workshops. Diese werden allesamt aufgezeichnet und zusammengefasst. Der Inhalt der Versammlungen und Workshops wird somit aufbereitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Wir haben auch einen Podcast-basierten Radiosender namens „Radio Amazonia”. Dafür interviewen wir verschiedene Stakeholder der Amazonas-Region, damit sie ihre Geschichte erzählen und ihre Sicht auf die Ursachen der Entwaldung und mögliche Gegenmaßnahmen darlegen können. Diese Podcasts können von den Nutzern heruntergeladen und somit auch über kommunale Radiosender verbreitet werden. Das hat große Bedeutung in einer Region ohne Internetanschluss.

Welche anderen Kommunikationskanäle nutzen Sie?

Wir verfügen über ein Team von Nichtregierungsorganisationen. Sie gehören zu den operativen Einheiten, durch die diese Plattform funktioniert. Diese Organisationen haben ihren Sitz in Bogotá, in Caquetá und in Guaviare. Da Caquetá und Guaviare Brennpunkte der Entwaldung sind, war es wichtig, die Projektstandorte dort einzurichten.

Zeigen Ihre Aktivitäten bereits Wirkung?

Rinderzucht in Kolumbien, ein Rind steht hinter hohem Gras auf einer Weide, im Hintergrund beginnt ein Wald; Foto: PIDJa! Zum Beispiel ist Rinderzucht eine der Hauptursachen für die Entwaldung in der Amazonas-Region. Wir haben ein Treffen mit den Erzeugern und den Menschen vor Ort organisiert. In diesem Rahmen wurde diskutiert, wie die Rinderzucht aussehen sollte, damit eine Schädigung der Umwelt vermieden und die Entwaldung in der Region gestoppt werden kann. Das Ergebnis war eine an die Behörden gerichtete Stellungnahme der Zivilgesellschaft zu einer vertretbaren Rinderzucht. Darin wird für Weidesysteme mit entsprechenden Unterstützungs- und Finanzierungsmöglichkeiten plädiert. Einen solchen Prozess hat es nie zuvor gegeben. Nun weiß die Regierung etwas besser, welche Politik sich die Zivilgesellschaft wünscht. Durch einen Bottom-up-Prozess wie diesen wird den Behörden eine Rückmeldung gegeben, damit sie öffentliche Maßnahmen so umsetzen können, wie es den Menschen in der Region wichtig ist. Schließlich sind sie es, die sich an vorderster Front dafür einsetzen, die Entwaldung zu stoppen.  

Wie entscheiden Sie, in welchen Bereichen der Entwaldungsproblematik Sie ansetzen?

Die „Amazonas-Vision“ beruht auf fünf Säulen, und diese fünf Säulen werden auch in unserer Plattform deutlich. Die Ergebnisse des Konsultationsprozesses fließen dabei ein, und wir schaffen in denjenigen Bereichen Kapazitäten, in denen wir Bedarf dazu sehen. Die dritte Säule betrifft zum Beispiel eine agrarökologische Entwicklung. Hier werden Produkte aus der Amazonas-Region betrachtet, die nachhaltig produziert werden können. In diesem Zusammenhang besteht die Notwendigkeit, Erzeugervereinigungen zu gründen. Gemeinsam können die Erzeuger ihre Produktion und ihren Vertrieb in finanziell sinnvoller Weise verbessern. Wir unterstützen sie in diesem Prozess mit Workshops zum Kapazitätsaufbau.

In Ihrem Projekt beziehen Sie die Zivilgesellschaft auch in Monitoring-Prozesse ein. Wie funktioniert das?

Wir stellen Informationen darüber bereit, was in der Region geschieht: Wir unterstützen die Regierung, indem wir die Zivilgesellschaft darüber informieren, wie viel Geld ausgegeben wird und welche Aktivitäten im Rahmen dieser speziellen Maßnahmen umgesetzt werden. Auf diese Weise ist die Zivilgesellschaft in der Lage, sich eine Meinung zu bilden und zu beurteilen, ob eine Vorgehensweise erfolgreich ist oder nicht. Es ist wichtig, dass die Zivilgesellschaft weiß, was die Zentralregierung in der Region plant. Einen solchen Informationsaustausch hat es früher nicht gegeben, und auch die Maßnahmenkoordination zwischen verschiedenen Regierungsstellen fehlt. So bestehen Konflikte, wenn etwa Maßnahmen gegen die Entwaldung umgesetzt werden, gleichzeitig aber auch Aktivitäten zur Förderung von Infrastruktur und Bergbau. Wir versuchen also, in der Region eine koordinierte und kohärente Umsetzung der öffentlichen Politik zu erreichen. Und der richtige Ansatz dafür besteht darin, die Zivilgesellschaft in der Region zu informieren und zur Vertretung ihrer Interessen zu befähigen.

Meme, das einen Bagger zeigt, der Wald rodet, darauf steht in Englisch "Wenn du dein Wissen nutzt, um der Welt zu schaden". Teil einer Online-Medienkampagne zur Sensibilisierung junger Leute; Bild: PID 

Wie nimmt die Regierung Ihre Aktivitäten wahr?

Wir arbeiten eng mit den für die Amazonas-Vision zuständigen Mitarbeitern zusammen und versuchen, ihre Arbeit in der Region bekannt zu machen und ihre Umsetzungsvorhaben zu unterstützen. Sie stehen vor einer großen, schwierigen Aufgabe und benötigen jede Unterstützung, die sie bekommen können. Dass die Öffentlichkeit informiert wird, befürworten sie, doch als kleines Team sind sie dafür auf Hilfe angewiesen. Wir bauen nach und nach eine gute Zusammenarbeit auf, und sie haben das Gefühl, dass die Plattform sie bei der Umsetzung ihrer Politik unterstützen kann.

Was ist Ihre persönliche Vision für Kolumbien?

Was derzeit international über Kolumbien berichtet wird, scheint positiv. Doch viel Arbeit und viele Herausforderungen liegen noch vor uns, insbesondere in den Sektoren der Landnutzung beziehungsweise der Land- und Forstwirtschaft, die die Hauptquelle der Treibhausgasemissionen in Kolumbien sind. Die soziale und ökologische Entwicklung kann mit der wirtschaftlichen Entwicklung oft nicht Schritt halten. Wir müssen in Kolumbien eine kohärente Politik für nachhaltige Landnutzung umsetzen und wir müssen solide Geschäftsmodelle entwickeln, die finanziell attraktiv und nachhaltig sind. Im Rahmen unseres Projektes unterstützen wir sowohl Regierungen als auch die Zivilgesellschaft beim Erreichen dieses Ziels. 

Vielen Dank!

Zur Web-Plattform: http://www.pidamazonia.com/

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