Nachhaltige Logistik in den Fokus rücken

Tsu-Jui Cheng und Himanshu Raj vom Städteverband ICLEI sprechen darüber, wie sie nachhaltige Logistik in den Fokus rücken wollen.
Tsu-Jui Cheng ist Programmleiter und globaler Koordinator des Teams Sustainable Urban Mobility / EcoMobility beim ICLEI World Secretariat in Bonn. Himanshu Raj verantwortet für das Team EcoMobility und leitet das Projekt „EcoLogistics: Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs für nachhaltige Städte“. Gemeinsam arbeiten sie an Strategien, politischen Maßnahmen und Möglichkeiten für eine kohlenstoffarme Stadtlogistik in Indien, Kolumbien und Argentinien.
Welche Herausforderungen bestehen im Bereich der Stadtlogistik?
Cheng: Die Welt der Stadtlogistik bleibt von den Stadtbewohnern meist unbemerkt, doch sie trägt in unserem Alltag entscheidend zu Luftverschmutzung, Energieverbrauch und Verkehrsstaus bei. Die Verkehrskonzepte in den Städten sind oft allein auf den Personenverkehr ausgelegt. Der städtische Güterverkehr darf vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Klimaschutzziele aber nicht länger nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Warum haben Sie Argentinien, Kolumbien und Indien als Projektländer ausgewählt?
Raj: Durch Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris bei der COP 2015 und die Formulierung ihrer jeweiligen Nationalen Klimabeiträge (NDCs) haben sich Argentinien, Kolumbien und Indien dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 20 bis 30 Prozent zu reduzieren. Unsere Entscheidung für diese Länder wurde wesentlich dadurch beeinflusst, dass sie den Verkehrssektor als einen der wachsenden Emissionsfaktoren genannt haben und mit ihrer Arbeit in diesem Bereich ansetzen wollen.
Cheng: Argentinien, Kolumbien und Indien sind Schwellenländer. Ihre Städte verändern sich sehr schnell und die Stadtlogistik hat dort in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Wachstum hingelegt. Kolumbianische Städte wie Bogotá gehen inzwischen Probleme im städtischen Raum an, die im Zusammenhang mit Stadtlogistik und Güterverkehr stehen: Über Konsolidierungsplattformen und mit einer Politik des nicht motorisierten Güterverkehrs wurde begonnen, den Güterverkehr zu regulieren. Neben solchen fortschrittlichen Städten möchten wir auch mit anderen Städten in diesen Schwellenländern zusammenarbeiten und schauen, wie sich Ansätze der städtischen Nachhaltigkeit dort umsetzen lassen.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Ländern und was sind die jeweiligen Herausforderungen?
Cheng: Argentinien, Kolumbien und Indien sind grundverschieden und weisen ganz unterschiedliche Merkmale und Kontexte auf. In Indien sind der Lebensmittelsektor sowie der Personen- und Güterverkehr enorm von der informellen Wirtschaft geprägt. Darum nehmen die indischen Städte aus Sicht der Logistik eine Sonderstellung ein. Kolumbien ist bei der Stadtlogistik etwas experimentierfreudiger. Und Argentinien beginnt gerade erst, sich mit den Verkehrsproblemen auseinanderzusetzen, die durch den Güterverkehr verursacht werden. Die drei Länder haben eine ganz unterschiedliche Ausgangssituation, so dass verschiedene Dinge ausprobiert werden. Im Rahmen des Projekts fördern wir den Erfahrungsaustausch zwischen den Städten eines Landes.
Eines Ihrer Hauptziele ist die Förderung des Erfahrungsaustauschs. Welchen Ansatz verfolgen Sie im Hinblick auf die Vernetzung der Länder und Städte?
Raj: Der Startschuss für das Projekt fiel im letzten Jahr auf der COP in Bonn. Im Juni 2018 hatten wir dann Gelegenheit, alle Städtevertreter anlässlich unseres ICLEI World Congress in Montreal zu versammeln. Dort haben wir ihnen vorgestellt, worum es in dem Projekt geht, wie wir mit ihnen zusammenarbeiten wollen und was sie gemeinsam haben. In jedem Land sind nationale Kick-off-Veranstaltungen geplant. Gerade bin ich in Kolumbien, wo ich beim Kick-off in Cali die Vertreter aller Projektstädte, d. h. Bogotá, Medellín (Vale del Aburrá) und Manizales, getroffen habe. Da Argentinien nicht allzu weit entfernt ist, haben wir die Vertreter der argentinischen Städte ebenfalls zu diesem Treffen eingeladen, damit die Vernetzung gestärkt wird und die Städte mehr über ihre jeweiligen Stärken und Schwächen erfahren. All diese Städte sind mit mehr oder weniger ähnlichen verkehrsbedingten Problemen wie Staus, Luftverschmutzung, Verspätungen usw. konfrontiert. Im Laufe des Projekts werden verschiedene Anlässe Gelegenheit bieten, die Städte zusammenzubringen. Als nächstes stehen die COP in Polen, die Konferenz Resilient Cities 2019 und das EcoMobility World Festival an. Bei diesen gelegentlichen Städteveranstaltungen sollen die Projektfortschritte aufgezeigt werden und die Städtevertreter die Möglichkeit haben, sich über das Geschehen in den anderen Städten zu informieren.

Ihr Projektansatz weist anscheinend eine zweiteilige Gliederung auf: Einen theoretischen Teil, bei dem es um Sensibilisierung und die Sammlung und Ausarbeitung von politischen Empfehlungen und Aktionsplänen geht, und einen Teil, der sich darum dreht, Vorreiterstädte zu vorbildlichem Handeln anzuleiten. Welche Idee steht dahinter?
Raj: Das Projekt ist so ausgelegt, dass wir zunächst die aktuelle Situation in den Städten analysieren: Was passiert im Güterverkehrssektor? Dann erstellen wir eine Roadmap für die Städte, anhand der sie die selbst gesteckten Ziele umsetzen können. Gemeinsam zeigen wir den Städten zum Beispiel Vorgehensweisen auf der Grundlage der Informationen, die wir über den Emissionsanteil des Güterverkehrssektors gesammelt haben. Eine Roadmap umfasst verschiedene Projekte. Außerdem führen wir Pilotvorhaben durch und überwachen diese, um die Wirkungen in den nächsten Projektphasen demonstrieren zu können. Nach der Durchführung haben wir etwas Zeit, die Entwicklung zu beobachten und zu begründen, worin der Nutzen für die Stadt besteht. Der Plan ist, dass die Städte nach dem Abschluss der Pilotvorhaben stärker involviert sind, die Sache mithilfe der Roadmap voranbringen wollen und alle von uns vorgeschlagenen Projekte umsetzen.
Inwiefern lässt sich der Projektansatz auf andere Länder übertragen?
Cheng: Das EcoLogistics-Projekt ist ein skalierbares Projekt, das auch an andere Regionen angepasst werden kann. Ein Grund dafür ist das im Rahmen des Projekts entwickelte Selbstbewertungsinstrument, mit dem die Städte ihre Leistung auf dem Weg zu einem nachhaltigen städtischen Güterverkehr evaluieren können. Dieses Instrument ist universell einsetzbar. Außerdem können die nationalen Rahmenbedingungen anderen Städten und Ländern Orientierung bieten.
Was waren Ihre persönlichen Highlights seit dem Projektbeginn vor einem Jahr?
Cheng: Ich bin sehr beeindruckt davon, wie begeistert sich die Experten und Stadtvertreter mit dem Thema Logistik befassen. Auch deshalb, weil nachhaltige Logistik ein Bereich ist, der noch nicht viel Aufmerksamkeit bekommt. Wir sehen, dass Experten, Universitäten und Forschungsinstitute Feuer gefangen haben. Das ist für das EcoLogistics-Projekt von ICLEI ein sehr spannender Weg.
Raj: Im Bereich EcoMobility arbeiten wir vor allem im Personenverkehr. Der Güterverkehr ist dagegen absolutes Neuland. Alle reden über öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder usw. Der Fokus lag bislang darauf, wie Personen von A nach B gelangen können. Es gibt nicht viele Projekte oder Initiativen deren Schwerpunkt auf dem städtischen Güterverkehr liegt, doch der ist genauso wichtig wie der Personenverkehr. Wo Menschen sind, werden Lebensmittel, Kleidung und Baumaterialien benötigt. Auch Güter müssen von A nach B gelangen. Die Bevölkerung der Städte nimmt zu, der Urbanisierungsgrad steigt, also steigt auch das gesamte Güteraufkommen. Denken Sie nur an Online-Shopping. Die sich daraus ergebenden Verkehrsstaus belasten in hohem Maße die Infrastruktur der Städte. Und natürlich ist der Beitrag zu den Treibhausgasemissionen enorm. Etwa 40 bis 50 Prozent der Emissionen aus dem Verkehrssektor entfallen auf den Güterverkehr. Darum müssen wir unsere Aufmerksamkeit auch auf den Güterverkehr richten, nicht nur auf den Personenverkehr. Es ist großartig, dass das Projekt den Dialog in diesem Sektor angestoßen hat – gerade in diesen Ländern, die aufstrebende Volkswirtschaften sind und noch vor der Herausforderung stehen, ihre Infrastruktur zu verbessern.

Wie geht es weiter?
Cheng: Im nächsten Schritt geht es ICLEI darum, dass alle Partner zusammenkommen, dass sich die logistischen Lösungen in den NDCs der Städte und Länder niederschlagen und dass der öffentliche und der private Sektor weiter sensibilisiert werden, so dass wir gemeinsam mit den Städten an der Reduzierung ihrer THG-Emissionen arbeiten können.
Raj: Hinter diesem Kick-off-Meeting steht auch die Idee, mit den Städten besser ins Gespräch zu kommen und ihre unmittelbaren Bedürfnisse nachzuvollziehen. Die meisten Städte sind an einer schnellen Lösung interessiert, während wir auf eine langfristige Lösung aus sind und nicht nur auf die Zielsetzung für morgen oder das nächste Jahr schauen. Wir führen intensive Gespräche, um die individuellen Bedarfe besser zu verstehen: Was genau denkt man in diesen Städten? Wir analysieren auch die derzeit laufenden Projekte, die von verschiedenen Stakeholdern oder Behörden in den Städten durchgeführt werden, und geben Empfehlungen zur gegenseitigen Abstimmung dieser Projekte, damit sich die langfristige Wirkung für die Stadt verbessert. Diese Analyse läuft noch. Bis Jahresende wird uns ein umfassendes Städteprofil vorliegen, das Antworten auf die Fragen gibt: Was passiert im Güterverkehrssektor? Wie viele Güter kommen in die Stadt und wie viele Güter verlassen die Stadt?
Vielen Dank für das Interview!
Der Link wurde in die Zwischenablage kopiert
Kontakt
IKI Office
Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH
Stresemannstraße 69-71
10963 Berlin