20.11.2018

Upscaling von nachhaltigen Verkehrslösungen in Ostafrika

Das BRT-System in Daressalam reduzierte die Fahrzeiten von 2 Stunden auf 45 Minuten für eine einfache Fahrt. Das System befördert 200.000 Passagiere pro Tag und hat sich zu einem Modell in der Region entwickelt; Foto: © ITDP
Das BRT-System in Daressalam reduzierte die Fahrzeiten von 2 Stunden auf 45 Minuten für eine einfache Fahrt. Das System befördert 200.000 Passagiere pro Tag und hat sich zu einem Modell in der Region entwickelt; Foto: © ITDP

Chris Kost vom Institute for Transportation and Development Policy berichtet über die Herausforderungen im ostafrikanischen Verkehrssektor.

Chris Kost leitet das Afrikaprogramm am Institute for Transportation and Development Policy (ITDP), einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die sich weltweit für nachhaltige Verkehrsmittel einsetzt. Aktuell ist Kost an dem Projekt Growing Smarter: Nachhaltige Mobilität in Ostafrika beteiligt, dessen Fokus auf öffentlichen Verkehrsmitteln, Fußgängern, Radfahrern sowie Parkraum-Management liegt.

Herr Kost, Sie haben vor dem Growing Smarter-Projekt drei Jahre in Ostafrika gelebt. Was können Sie uns über das Verkehrswesen in der Region erzählen?

In den meisten Großstädten in Kenia, Ruanda, Tansania und Uganda – den Ländern, in denen wir tätig sind – nutzt die Mehrheit der Pendler nachhaltige Verkehrsmittel. Sie nehmen entweder die öffentlichen Verkehrsmittel, gehen zu Fuß oder fahren Rad. Für einen Verkehrsplaner aus Europa oder den USA mag es traumhaft erscheinen, dass so viele Menschen umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen. Doch die meisten Menschen tun dies, weil sie keine andere Wahl haben. Zufußgehen oder Radfahren birgt in vielen Fällen Risiken im Zusammenhang mit mangelnder Verkehrssicherheit und Luftverschmutzung. Und die öffentlichen Verkehrsmittel sind oft unzuverlässig und nicht sicher, denn Fahrzeuge und Haltestellen sind überfüllt. Die Menschen können sich auf das öffentliche Nahverkehrssystem also nicht verlassen. So steigen sie auf Privatfahrzeuge um, sobald sie es sich leisten können.

Wie geht Ihr Projekt an die Probleme Verkehrsüberlastung, mangelnde Verkehrssicherheit und Luftverschmutzung heran?

Chris Kost, Leiter des Afrikaprogramms bei ITDP. Foto: © Yannick Haas / Programmbüro der IKIDie Grundidee hinter dem Growing Smarter-Projekt ist, dass in all diesen ostafrikanischen Städten nachhaltige und qualitativ hochwertige Verkehrslösungen angeboten werden sollen. Außerdem stellen wir erste Überlegungen dazu an, wie wir diese Lösungen auf die gesamte Region ausweiten können. Es gibt einzelne Projekte, die sehr erfolgreich waren. In Daressalam zum Beispiel wurde vor einigen Jahren ein hervorragendes Bus-Rapid-Transit-System (BRT) eingeführt, das heute jeden Tag 200.000 Personen nutzen. Das hat zu einer echten Veränderung im Alltag der Menschen geführt: Die Fahrzeit für eine Pendelstrecke von 2 Stunden wurde auf 45 Minuten verkürzt. Doch Lösungen wie diese werden nicht schnell genug repliziert. Bei dem Projekt geht es darum, wie wir Lerneffekte zwischen den Städten in der Region Ostafrika fördern können. Wir möchten den Austausch fördern und sicherstellen, dass die Best Practices aus einer Stadt in einer anderen Stadt Anreiz und Motivation für Veränderungen sind.

Warum haben Sie Kenia, Ruanda, Tansania und Uganda als Projektländer ausgewählt?

In allen Hauptstädten dieser Länder wird derzeit ein BRT-System geplant. Es muss sichergestellt werden, dass diese Systeme von hoher Qualität sind und dass sie gut umgesetzt werden. In der Region besteht ein großes Interesse an nachhaltigen Verkehrslösungen. Den Städten ist bewusst, dass sie Verkehrssysteme anders planen müssen, dass sie Fuß- und Radwege ausbauen und das öffentliche Verkehrssystem verbessern müssen. Der Bedarf an fachlicher Hilfe und Unterstützung ist hoch.

Stehen hinter diesen Anstrengungen und Bestrebungen allein die Städte oder auch nationale Regierungen?

Beide Ebenen sind beteiligt. In vielen Städten spielt die nationale Regierung bei der Planung des Stadtverkehrs eine große Rolle. Doch das verändert sich allmählich. Es ist die Tendenz zu beobachten, dass die entsprechenden Funktionen zunehmend von der nationalen Ebene auf die Städte übertragen werden. Dieser Entwicklungsprozess vollzieht sich gerade. In einigen Fällen setzen nationale Behörden das BRT-System um, in anderen Fällen ist ihre Rolle eher die der Politikgestaltung: Sie unterstützen die Verbreitung von Konstruktionsstandards und die Sicherstellung der Finanzierung.

Welche Projektmaßnahmen und -aktionen planen Sie? Was genau sind Ihre Ziele?

Eine Kernmaßnahme, an der wir mit den Städten arbeiten wollen, ist die Realisierung von öffentlichen Verkehrslösungen. Wir wollen erstklassige öffentliche Verkehrssysteme entwickeln, in deren Zentrum hochwertige BRT-Korridore stehen. BRTs sind busbasierte öffentliche Verkehrssysteme mit eigenem Fahrstreifen, Haltestellen in der Straßenmitte, ebenerdigem Einstieg und Ticketkauf vor Fahrtantritt. Sie haben alle Eigenschaften einer Stadtbahn, nur dass stattdessen Busse eingesetzt werden. Daher sind die Kosten viel geringer, die Realisierungszeit ist kürzer und die Flexibilität ist höher. Für die schnell wachsenden Städte in Ostafrika sind BRTs eine ideale Lösung. Eine Stadt wie Nairobi in Kenia muss BRT-Korridore von 100 Kilometern Länge einrichten, um alle Hauptverkehrsadern abzudecken und sicherzustellen, dass die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr im Verkehr stecken bleiben. Das ist für eine Stadt in einem angemessenen Zeitrahmen machbar.

Bürger in ganz Ostafrika fordern qualitativ hochwertigere öffentliche Verkehrsmittel und sicherere Straßen. ITDP und UN-Habitat organisierten eine Outdoor-Ausstellung während eines Straßenfestes in der Innenstadt von Nairobi, um Feedback aus der Gemeinde zu sammeln und auf laufende Verkehrsinitiativen in der Stadt aufmerksam zu machen; Foto: © ITDP

Welchen Beitrag leistet das Projekt zur Realisierung dieser Verkehrssysteme?

Im Rahmen der Realisierung der BRTs wollen wir sicherstellen, dass sich die bestehende Paratransit-Branche am Betrieb des zukünftigen BRT-Systems beteiligen kann. Wir werden mit den Kleinbusbetreibern zusammenarbeiten und sie dabei unterstützen, ein eigenes Unternehmen zu gründen, so dass sie das BRT-System betreiben können. Dies birgt die große Chance, dass in jeder Stadt lokale Kapazitäten aufgebaut und die Stärken der bestehenden Branche genutzt werden. Außerdem werden die Verkehrsanbieter auf diese Weise dabei unterstützt, wettbewerbsfähige Firmen zu gründen, die nicht nur das örtliche BRT-System betreiben, sondern auch nach Gelegenheiten Ausschau halten können, ihre Tätigkeit auf die öffentlichen Verkehrsmittel in anderen Städten auszuweiten.

Woran wird im Projekt neben der Realisierung von BRTs noch gearbeitet?

Wir machen uns viele Gedanken über die Sicherheit und über die Gestaltung von Straßen für alle, mit Fußwegen von hoher Qualität, sicheren, barrierefreien Fußgängerübergängen und – auf breiten Straßen – gekennzeichneten Radfahrstreifen. All das ist wichtig, um sicherzustellen, dass die Menschen die Fortbewegung zu Fuß und mit dem Fahrrad tatsächlich praktisch, sicher und komfortabel finden und sich nicht nur deshalb dafür entscheiden, weil sie keine andere Wahl haben.

Als nächstes müssen wir uns anschauen, wie wir die Fahrzeugnutzung steuern und Autofahrer davon abhalten können, ihr Fahrzeug auf Fußwegen oder Radfahrstreifen zu parken. In vielen Städten besteht die Gefahr, dass das Parken den öffentlichen Raum dominiert. Daher ist es wichtig, es durch ein sinnvolles Parkraum-Management und geeignete Gebührensysteme in den Griff zu bekommen. So ist die Nutzung des öffentlichen Raums geregelt, und es werden Einnahmen erzielt, die dann in nachhaltige Verkehrsprojekte fließen können.

Sobald wir einige dieser öffentlichen Verkehrssysteme umgesetzt haben, gilt es, darüber nachzudenken, wie wir die Stadtentwicklung in ihrem Umfeld fördern können, damit mehr Menschen dort wohnen, wo sie zur Arbeit oder zur Schule gehen. Dabei müssen wir unser Augenmerk auf Bau- und Planungsvorschriften und auf Maßnahmen zur Förderung bezahlbarer Wohnungen richten. Aktuell leben in einer Stadt wie Nairobi mehr als die Hälfte der Einwohner in informellen Siedlungen, weil gut gelegene, kostengünstige Wohnungen fehlen. Die Menschen haben die Wahl, entweder in einem Slum in der Stadt oder weit außerhalb der Stadt zu leben und einen sehr langen, teuren Arbeitsweg auf sich zu nehmen. Dagegen müssen wir etwas tun.

Was könnten die großen Herausforderungen und Hindernisse für das Projekt sein?

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Realisierung der öffentlichen Verkehrsprojekte besteht darin, die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den beteiligten Institutionen zu verbessern. Zahlreiche Behörden sind in der einen oder anderen Weise an der Planung, Gestaltung oder Steuerung von Verkehrssystemen beteiligt, darunter Straßenbehörden und Verkehrsministerien, die Standards festlegen und finanzielle Mittel zuweisen, sowie Stadtverwaltungen, die in die Bewirtschaftung von Parkplätzen und Straßenraum sowie den Bau kommunaler Straßen involviert sind. Derzeit arbeiten diese Akteure nicht immer zusammen. Ein Hauptziel des Projekts ist daher herauszufinden, wie wir eine bessere institutionelle Koordination erreichen können und sicherstellen, dass es eine klare Vision für die Bereitstellung von nachhaltigen Verkehrslösungen gibt.

 Interessenvertreter von Straßenbauämtern und der Verkehrsbehörde der Metropolregion Nairobi diskutieren Wege zur Entwicklung sicherer, zugänglicher Fußgängerübergänge entlang eines geplanten BRT-Korridors; Foto: © ITDP

Wie fördern Sie den Austausch zwischen den Stakeholdern?

Ein zentrales Element des Projekts besteht darin, die Teilnehmer aus den einzelnen Ländern jedes Jahr in einer der Projektstädte zusammenzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, von den dort gesammelten Erfahrungen lernen. Wir hoffen, dass die Teilnehmer einige der Best Practices aus der Gastgeberstadt in ihre Heimatstadt mitnehmen können. Mitarbeiter im öffentlichen Dienst haben außerdem die Möglichkeit, am MOBILIZE-Gipfel teilzunehmen. Diese Konferenz wird vom ITDP jedes Jahr in der Stadt ausgerichtet, die mit dem Sustainable Transport Award ausgezeichnet wird.

Welche Rolle spielt das Projekt bei diesem Wissensaustausch zwischen den Städten?

Die Erarbeitung von Wissensprodukten, in denen die Lernerfahrungen der Städte in der Region zusammengefasst werden, ist Teil des Projekts. So können wir diese Lernerfahrungen an andere Städte weitergeben. Im Rahmen eines anderen IKI-Projekts haben wir Wissen über die Gestaltung von Fußwegen und Radfahrstreifen im afrikanischen Kontext gesammelt und daraus ein Handbuch erstellt, das wir in unseren Gestaltungsworkshops nutzen. Wir organisieren partizipative Workshops, bei denen die Teilnehmer selbst Straßen oder Kreuzungen planen und gestalten können. Außerdem sehen wir uns die Situation vor Ort an, beobachten die Verkehrsteilnehmer, sprechen mit Menschen auf den Straßen und erleben die Umstände, mit denen sie jeden Tag konfrontiert sind. Planer und Ingenieure, die das tun, denken hinterher anders. Wenn sie die Realität mit eigenen Augen sehen, haben sie ein viel besseres Verständnis der tatsächlichen Bedürfnisse.

Ist der Projektansatz auf andere Regionen übertragbar?

Auf jeden Fall. Das ITDP arbeitet seit einigen Jahren in der Region. Wir haben viele BRT-Projekte und zahlreiche Verkehrsinitiativen in der Region unterstützt. Dieses Projekt ist eine hervorragende Gelegenheit für ein Upscaling vieler laufender Aktivitäten. Wir sind dadurch viel besser in der Lage, in diesen Städten tatsächlich etwas zu bewirken und umfassende fachliche Unterstützung zu leisten. Und es besteht die Möglichkeit, die Lernerfahrungen und Konzepte auf andere Regionen außerhalb Ostafrikas zu übertragen. Viele Dinge, die wir angesprochen haben, sind für zahlreiche afrikanische Städte relevant. Wir wollen uns anschauen, wo Verbindungen bestehen und wie wir die Lernerfahrungen aus diesem Projekt an eine breitere Zielgruppe weitergeben können. Anschließend möchten wir beginnen, weitere Länder in den Wissensaustausch einzubeziehen.

Herr Kost, vielen Dank für dieses Interview!

 

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Kontakt

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