19.03.2021

Planen wir unsere Städte neu

Stau
Stau in Peking, China. Foto: Li Lou / Weltbank

Weniger Asphalt, mehr Silizium: Nach diesem Motto sollte man nach Ansicht von Carlo Ratti die Zukunft der urbanen Mobilität angehen. 

Um die Umweltverschmutzung durch Staus und andere Formen der städtischen Überlastung zu bekämpfen, können Städte den Bau neuer physischer Infrastrukturen vermeiden – durch digitale Werkzeuge, um mit den vorhandenen Ressourcen mehr zu erreichen. In Schwellenländern steht diese Strategie an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Wachstum. Überall auf der Welt wird sie für den Klimaschutz und unsere Zukunft entscheidend sein.

Um zu verstehen, wie wir den städtischen Alltag verändern können, betrachten wir die Strategien, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingesetzt wurden. Anfang 2020 beherrschte der Begriff „Abflachung der Kurve" die Zeitungen und Websites auf der ganzen Welt. Er beruhte auf der Idee, dass räumliche Distanzierung und Mund-Nasen-Schutzmasken COVID-19 nicht eliminieren, aber verlangsamen können, um zu verhindern, dass Beatmungsgeräte und Intensivbetten knapp und medizinisches Personal überlastet werden.

Jetzt, da wir gelernt haben, wie wir die Kurve der Infektion abflachen lassen können, könnten wir das gleiche Prinzip auch auf unser tägliches Leben anwenden? Über das Gesundheitswesen hinaus wissen wir, dass die gesamte Infrastruktur – von Autobahnen bis zu Stromnetzen – überlastet wird und ausfällt, wenn die Nachfrage die Spitzenkapazität übersteigt. Würde die Kurvenabflachung auch dort funktionieren?

Ein gleicher Tages- und Arbeitsrhythmus verstopft die Straßen

Konzentrieren wir uns auf die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen. Unkontrollierte Nachfragespitzen, die sich als Rushhour manifestieren, sind die größte Nemesis für unsere Mobilitätsinfrastruktur. Weil sie den gleichen Tages- und Arbeitsrhythmus haben, überlasten Pendler unsere Autobahnen und leiden unter ärgerlichen Staus.

Die Folgen sind über die ganze Welt bekannt, von einem täglichen Hupkonzert in Los Angeles, Kalifornien, bis hin zu Fahrern, die für zufällige Gespräche aus dem Auto steigen, und improvisierten Jamsessions, welche die stundenlangen Staus in Lagos, Nigeria, kennzeichnen. Die Unannehmlichkeiten des Stop-and-Go-Verkehrs sind jedoch trivial im Vergleich zu seinen Auswirkungen auf die Umwelt. Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen sind schrecklich für den Benzinverbrauch und setzen bis zu 29-mal mehr Schadstoffe frei als das freie Fahren über die gleiche Strecke.

Was sollten wir tun, um den Kurs umzukehren? Die offensichtliche Lösung, die Straßen zu verbreitern, ist in ihrer Wirksamkeit zweifelhaft, sehr teuer und lässt noch mehr Land für die meiste Zeit des Tages ungenutzt. Anstatt das Angebot zu erhöhen, sollte eine klimafreundliche Urbanisierung darauf hinarbeiten, die Nachfragespitzen zu verringern. Seit dem ersten Ausbruch von COVID-19 könnte die radikale Umplanung unseres Berufslebens genau dies ermöglichen.

Logo City Climate Gap Fund

Heute arbeiten viele Arbeitnehmer in versetzten Schichten und besuchen das Büro zu unterschiedlichen Zeiten, um eine Überbelegung zu vermeiden. Dies reduziert nicht nur das Risiko einer Ansteckung mit COVID-19, sondern entlastet auch unsere Straßen. Nach der Pandemie kann uns die Fernarbeit erlauben, flexibel zu bleiben. Stellen Sie sich vor, einige von uns nehmen an einer morgendlichen Besprechung via Zoom teil und kommen mittags im Büro an, während andere früh aufbrechen und den Arbeitstag von zu Hause aus beenden. Die Rushhour wäre doppelt so lang, aber nur halb so überfüllt. Die unterbrechungsfrei fahrenden Autos würden zudem weniger Abgase ausstoßen und eine Verbesserung der Klimabedingungen bewirken.

Flexibilität bedeutet nicht automatisch eine „Abflachung der Kurve"; die Regierungen müssen einen Anstoß in diese Richtung geben. Mit digitalen Plattformen können sie dynamische Anreize bieten. In Singapur werden über das System der elektronischen Straßenbenutzungsgebühren (ERP – Electronic Road Pricing) Gebühren auf Basis des aktuellen Verkehrsaufkommens erhoben. Wenn das Internet der Dinge ausgereift ist, können wir unsere Bemühungen mit digitaler Sensorik und individualisierten Anreizen verbessern, die vielleicht über Blockchain gehandelt werden.

Schwellenländer können Entwicklungsstufen überspringen

In den Schwellenländern könnten die Großstädte die herkömmlichen Entwicklungsstufen überspringen und direkt zu den modernsten Mobilitätstechnologien übergehen. Diesen Weg hat die Telekommunikation eingeschlagen: Ein Bericht der GSM Association, der weltweiten Industrievereinigung der GSM-Mobilfunkanbieter, prognostiziert, dass der Grad der Smartphone-Nutzung in Usbekistan von 45 Prozent im Jahr 2018 auf 74 Prozent im Jahr 2025 steigen wird. Der gleiche Trend wird in anderen Nationen in Lateinamerika und Afrika erwartet. Die steigende Popularität von Smartphones bietet sich für die Analyse von Big Data an. Das von der MIT-Professorin Sarah Williams mitbegründete Digital Matatus Project zielt darauf ab, den informellen öffentlichen Nahverkehr in Nairobi und Kenia, durch die Auswertung von Handy-Standortdaten, neu zu strukturieren.

Eine gewisse infrastrukturelle Redundanz ist nach wie vor unerlässlich, um unerwarteten Situationen Rechnung zu tragen. Schnelle, exogene Ereignisse wie Naturkatastrophen erzwingen eine gleichzeitige Nutzung der Infrastruktur, und manche Momente – man denke an die Fußballweltmeisterschaft – sind dazu gedacht, gemeinsam erlebt zu werden. 

Tägliche Staus sind jedoch ein Relikt aus Planungsfehlern des 20. Jahrhunderts, das wir ablegen können. Der rasante gesellschaftliche Wandel im Angesicht von COVID-19 erinnert uns an unsere Fähigkeit zur Veränderung. Heute war das Abflachen der Kurve eine notwendige Reaktion auf eine Krise. Morgen kann es ein Werkzeug sein, das wir einsetzen, um die Städte zu erreichen, die wir uns wünschen: nahtlos, klimapositiv und wirklich lebenswert.

Carlo Ratti lehrt am MIT Department of Urban Studies and Planning und ist Gründungspartner des Planungsbüros CRA-Carlo Ratti Association.

Dieser Blog ist Teil einer speziellen Serie über Städte und Klimawandel und wurde zuerst von der Weltbank veröffentlicht. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind die der Autoren und spiegeln nicht notwendigerweise die Politik oder Position der IKI wider.

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Über den City Climate Finance Gap Fund

Der City Climate Finance Gap Fund ebnet den Weg für eine ambitionierte Infrastrukturentwicklung für kohlenstoffarme, widerstandsfähige und lebenswerte Städte im globalen Süden. Ausführliche Informationen zum City Climate Finance Gap Fund gibt es in der Launch-Berichterstattung aus dem Jahr 2020.

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Weltbank-Blog

In ihrem Blog „Sustainable cities Building inclusive, resilient, and sustainable communities“ zeigt die Weltbank viele innovative Ansätze, wie die Zukunft der Städte aussehen kann.

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